An den 18. Dezember vergangenen Jahres kann sich Willi Z. noch gut erinnern. Seine Frau liegt am Boden, krümmt sich vor Schmerzen. Sie leidet an einer seltenen Tumorerkrankung, war deshalb bereits in stationärer Behandlung. In seiner Verzweiflung wählt der Heilbronner den Notruf. Ein Notarzt kommt jedoch nicht, weil keine Lebensgefahr bestand..
Lebensgefahr
Günter Friederich, Leiter der Integrierten Leitstelle in Heilbronn, verteidigt die Entscheidung seines Disponenten, keinen Notarzt zu schicken. Der Rettungsdienst rückt nur aus, wenn akute Angelegenheiten vorliegen. Weniger dringliche Fälle werden an den kassenärztlichen Notdienst weiter verwiesen. Dass so verfahren wird, ist notwendig, bestätigt Andreas Hamberger, Notdienstbeauftragter der kassenärztlichen Vereinigung. „Der Notarzt ist dafür da, dass Leben gerettet werden.“ Sechs Ärzte und zehn Rettungswagen decken den Stadt- und Landkreis Heilbronn ab.
Das Problem ist nur: Häufig werde der Notruf auch bei minderschweren Fällen gerufen, sagt Friederich. 67 000 Notrufe sind im vergangenen Jahr in der Integrierten Leitstelle eingegangen. Weitere 110 000 Mal wurden Krankentransporte oder der ärztliche Notdienst gerufen. Alle Anrufe, die in der Leitstelle eingehen, werden aufgezeichnet und 90 Tage lang gespeichert. Die angefertigten Einsatzprotokolle werden zehn Jahre archiviert. Kommt ein Anruf in der Rettungsleitstelle an, fragt der Disponent, welche Beschwerden vorliegen. Im Telefonat muss er einschätzen, ob ein Notarzt benötigt wird. In der Leitstelle arbeiten ausschließlich Rettungssanitäter und -assistenten, die auch mehrere Jahre Berufserfahrung in einem Rettungswagen haben. Auch Willi Z. wurde gefragt, ob bei seiner Frau Lebensgefahr besteht. „Für mich war aber überhaupt nicht zu bewerten, ob Lebensgefahr besteht“, klagt der 56-Jährige.
Der Heilbronner konnte seine Frau nicht selbst in die Notaufnahme fahren. Zu groß waren ihre Schmerzen. Er wurde an den kassenärztlichen Notdienst weitergeleitet. Den Notdienst übernehmen niedergelassene Ärzte verschiedener Fachrichtungen von 18 Uhr bis 8 Uhr am nächsten Morgen. Diese kümmern sich um alle dringenden, aber nicht akut lebensbedrohlichen Fälle. Maximal sieben Ärzte haben im Stadt- und Landkreis pro Nacht Notdienst. Zehn Patienten besuche er durchschnittlich in einer Notdienstnacht, sagt Andreas Hamberger. In der Spitze sind es bis zu 30 Patienten. „Wir können da nicht bei jedem gleichzeitig sein.“
Notaufnahme
Zu Willi Z. ist in dieser Nacht kein Arzt mehr gekommen. Eine Stunde hätte er warten müssen. Das war dem 56-Jährigen zu lange. Am nächsten Morgen fuhr er seine Frau in ein Krankenhaus.
Auch in den Notaufnahmen werden die Patienten nach ihrer Ankunft von den Pflegern gesichtet. Welcher Patient ist schwerverletzt und wird sofort behandelt, wer kommt mit leichteren Verletzungen und muss warten? „Die Notaufnahme eines Krankenhauses stellt große Herausforderungen“, sagt Andreas Licht, leitender Oberarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie. Im Verlaufe des Jahres soll am Plattenwald ein standardisiertes Verfahren, das Manchester Triage System, eingeführt werden. Dabei werden die in der Notaufnahme ankommenden Patienten entsprechend der Schwere ihrer Verletzungen behandelt, unabhängig davon, wer zuerst gekommen ist. Strenge Fristen regeln, wann die Patienten behandelt werden müssen. Das System soll transparenter und patientenfreundlich sein, sagt Licht.
Bild: Arbeiten unter großem Druck: Mitarbeiter der Integrierten Leitstelle in Heilbronn. Sie müssen entscheiden, wann ein Notarzt losgeschickt wird. (Foto: Archiv/Veigel)