Der Gundelsheimer Brandstifter ist bei der Feuerwehr, ausgerechnet. Psychiater Hans-Jürgen Luderer aus Heilbronn erklärt, was Feuer legen und Feuer löschen mit der Sehnsucht nach Anerkennung zu tun haben.
Die Zahlen sagen, Brandstifter bei der Feuerwehr gibt es nur sehr selten. Von 0,03 Prozent aller Brandstiftungen ist die Rede. Die Zahl stammt allerdings vom Feuerwehrverband. Gibt es objektivere Quellen?
Prof. Dr. Hans-Jürgen Luderer: Laut polizeilicher Kriminalstatistik kam es in Deutschland in den vergangenen Jahren zu 19.000 bis 24.000 Brandstiftungen pro Jahr. Zur Frage der Brandstiftung durch Feuerwehrleute legte der Deutsche Feuerwehrverband folgende Berechnung vor: In Deutschland werden pro Jahr 180.000 Brände gelöscht, davon ist ein Fünftel, das heißt 36.000, auf Brandstiftung zurückzuführen. Jährlich werden etwa zwölf Feuerwehrleute der Brandstiftung überführt, das heißt bei 0,03 Prozent aller absichtlich gelegten Brände sind Feuerwehrleute die Täter, fast ausschließlich Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr.
Die umfangreichste Studie zur Brandstiftung durch Feuerwehrleute wurde im Jahr 2013 von Frank D. Stolt vorgelegt. Die Untersuchung erfolgte am Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und ist deshalb als unabhängige Studie zu betrachten. Stolt geht von etwa 1,3 Millionen Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehren in ganz Deutschland aus, von denen in den vergangenen 60 Jahren rund 3000 als Brandstifter gerichtlich verurteilt wurden. Daraus ergibt sich die Zahl von 50 brandstiftenden Personen pro Jahr bei der freiwilligen Feuerwehr. Es waren fast ausschließlich Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren.
Wenn man nach der Polizeilichen Kriminalstatistik von etwa 20.000 Brandstiftungen ausgeht, von denen nach den Zahlen von Stolt 50 durch Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren verübt wurden, kommt man auf einen Prozentsatz von 0,05. Diese Zahl liegt etwas höher als die Angaben des Deutschen Feuerwehrbundes, es handelt sich aber immer noch um einen sehr geringen Anteil. Trotzdem entsteht durch diese Delikte immer ein beträchtlicher Sachschaden, und bei einzelnen Taten sind auch Personen gefährdet. Genauere Zahlen stehen uns nicht zur Verfügung, da weder in Deutschland noch in den USA Brandstiftungen durch Feuerwehrleute als gesondertes Delikt erfasst werden.
Für viele ist es schwer zu glauben, dass nur so wenige Feuerwehrmitglieder in Brandstiftungen verwickelt sein sollen, ihre Wahrnehmung ist eine andere. Woran liegt das?
Luderer: Gemessen an der Zahl der Menschen in diesem Ehrenamt ist diese Zahl sehr niedrig, aber 50 Brandstiftungen pro Jahr werden von der Öffentlichkeit sehr genau wahrgenommen. Viele fragen sich, ob ihr Bild von Feuerwehrleuten als Menschen, denen das Wohl und die Sicherheit der Bevölkerung am Herzen liegt, der Realität entspricht.
Übt das Löschen eines Feuers auf Brandstifter aus den Reihen der Feuerwehr einen besonderen Reiz aus?
Luderer: Feuerwehrleute interessieren sich für Feuer, ansonsten wären sie keine Feuerwehrleute geworden. Das Löschen eines Brandes ist für sie eine Herausforderung - eine Situation, in der sie ihre Kompetenz unter Beweis stellen können. Natürlich freuen sie sich, wenn sie Leben gerettet haben, und sie sind mit Recht stolz auf ihre Leistung.
Welche anderen Motive können Brandstifter antreiben, die der Feuerwehr angehören?
Luderer: Sie wollen als Helfer wahrgenommen werden. Sie sind es auch, die dann gleich vor Ort sind, um das Feuer zu löschen. Besonders gefährdet sind Männer unter 25 Jahren mit wenig stabilem Selbstwertgefühl, die in besonderer Weise auf die Anerkennung anderer angewiesen sind. Sie sind typischerweise erst wenige Jahre bei der freiwilligen Feuerwehr tätig, haben mit Leistungsproblemen in Schule und Beruf zu kämpfen oder Probleme mit Alkohol und Drogen. In der Freiwilligen Feuerwehr fallen sie als besonders eifrig auf, sind auffallend schnell an der Brandstelle, und sie schildern danach die eigenen Leistungen bei der Brandbekämpfung besonders ausführlich. Die Vermutung liegt nahe, dass sie mit ihrem Handeln versuchen, durch die Anerkennung Anderer ihr Selbstwertgefühl zu stärken.
In Gundelsheim sagten schon manche voraus: Es ist bestimmt einer von der Feuerwehr. Ist dieser Verdacht tatsächlich so naheliegend?
Luderer: Naheliegend ist eine solche Vermutung nie, dafür sind diese Delikte zu selten. Manchmal muss man als Ermittler aber auch Möglichkeiten bedenken, die nicht naheliegend sind. Aber das ist die Aufgabe der Kriminalpolizei, und wir können davon ausgehen, dass Kriminalbeamte wissen, was sie tun.
Welche Rolle spielen hierbei die Medien? Verhindert weniger Berichterstattung eventuell Brandserien wie diese?
Luderer: Es ist die Aufgabe der Medien, über diese Vorkommnisse zu berichten, ruhig und sachlich. Natürlich bedeutet jeder Zeitungsbericht auch Aufmerksamkeit für den Täter. Es gibt sicher Medien, die weniger zurückhaltend und sachlich berichten.
Sind brandstiftende Feuerwehrleute grundsätzlich auch per Definition Pyromanen?
Luderer: Brandstifter, die nicht aus kriminellen oder terroristischen, sondern aus psychischen Gründen Feuer legen, sind in der Regel introvertiert und leben sozial isoliert, das heißt, sie machen alles mit sich selbst aus. Manche Formen wiederholter Brandstiftung im Erwachsenenalter aus psychischen Gründen werden als Pyromanie bezeichnet. Die Betroffenen zeigen ein ausgeprägtes Interesse für Feuer, bereiten die Brandstiftung sorgfältig vor, sind angespannt und aufgeregt, bevor es brennt, und sind erleichtert, wenn es brennt. Die Folgen der Brände für die Gebäude und die Menschen sind ihnen gleichgültig. Dieses Krankheitsbild ist aber offenbar sehr selten.
Wie schaffen es die Brandstifter, so lange unentdeckt zu bleiben? Sind sie aufgrund ihres offensichtlichen Wunsches nach Aufmerksamkeit nicht besonders leicht als Tatverdächtige zu entdecken?
Luderer: Straftäter versuchen immer, unentdeckt zu bleiben. Das gelingt ihnen eine gewisse Zeit, aber gerade Serientäter machen irgendwann Fehler, die zu ihrer Enttarnung führen. Die Aufklärungsquote bei Brandstiftungen durch Feuerwehrleute ist höher als bei Brandstiftungen insgesamt.
Wieso kann die Feuerwehr intern hier nicht besser eingreifen und die Entwicklung einer langen Brandserie auch mit klaren Worten intern lösen? Nach dem Motto: Wenn es einer von uns ist, sofort damit aufhören!
Luderer: Wer eine Straftat begeht, versucht, seine Täterschaft zu verbergen. Täter wollen nicht entdeckt werden. Appelle von Vorgesetzten erreichen die Täter wahrscheinlich nicht. Die Befürchtung, entdeckt zu werden, gilt jedoch bei vielen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten als Anlass, entsprechende Pläne nicht umzusetzen.
Viele Feuerwehren werben ja gerne noch heute mit der Botschaft „Helden gesucht“, auch wenn sie es so nicht aussprechen. Halten Sie das für gut?
Luderer: Die Betonung des Heldentums ist sicher problematisch.
Wie sieht ein professionelles Vorgehen innerhalb einer Feuerwehr aus, wenn es eine Brandserie gibt und der Verdacht aufkommt, es könnte möglicherweise ein Feuerwehrmitglied dahinterstecken?
Luderer: Erfahrene Brandermittler empfehlen vor allen Dingen, bei der Bewerberauswahl und bei internen Schulungen das Problem der Brandstiftung weder zu dramatisieren noch totzuschweigen. Die Gefahr, als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr zum Brandstifter zu werden, darf kein Tabuthema sein.
Sind solche Fälle auch ein Fall für den Psychotherapeuten?
Luderer: Wer aus psychischen Gründen Feuer legt, benötigt Hilfe bei der Bewältigung dieser Probleme. Es gibt verschiedene Therapieprogramme, die alle auf ähnlichen Prinzipien beruhen: die Arbeit am Symptom des Brandstiftens und die Arbeit an den möglichen Ursachen des Symptoms. Der erste Schritt dazu ist die Arbeit an der Bereitschaft der Täter, über die Taten zu sprechen. Dabei stellen sich immer sehr ähnliche Fragen: Wie ist der Täter bei der Brandstiftung selbst und bei der Planung vorgegangen? Wie lange liegt der erste Gedanke daran zurück, ein Feuer zu legen? Wie hat sich der Täter den Brand selbst, die Hilfe beim Löschen und die Zeit danach in seiner Phantasie ausgemalt? Welche Gedanken und Gefühle haben sich bei Planung, Durchführung und beim Löschen eingestellt? Wie oft denkt der Täter zwischen den einzelnen Taten an die nächste Brandstiftung?
Und wie sollen die Brandstifter so ihre Probleme in den Griff bekommen?
Luderer: Bei Gesprächen über die Taten selbst ergibt sich das Thema des guten Gefühls beim Löschen zwangsläufig, und dabei kann die beratende oder behandelnde Person die Frage stellen, ob sich dieses Gefühl im normalen Leben auch einstellt. Daran sollte sich die Frage nach dem bisherigen Verlauf des Lebens anschließen: Leistungen in der Schule, Erfahrungen in der Herkunftsfamilie und im sozialen Umfeld, und schließlich das Thema des Selbstwertgefühls als Kind, in der Jugend und zum aktuellen Zeitpunkt.