War es nur sein unbändiger Überlebenswille? Oder auch das medizinische Wissen, wie man in einer Extremsituation mit kühlem Kopf reagiert?
Sascha Lustig (34) hat einen Unfall überlebt, der einen Menschen körperlich und psychisch eigentlich überfordern müsste. Selbst für Möckmühls Feuerwehrkommandant Uwe Thoma, der bei der Rettung des Schwerstverletzten dabei war, ist der Fall "ein Wunder". Weil der junge Mann "so lange Zeit mit offener Wunde bei Minustemperaturen" in dem Autowrack lag.
Rund 17 Stunden harrte Sascha Lustig Ende Oktober in seinem Mitsubishi in einer kleinen Schlucht aus, ehe Hilfe kam. 17 lange Stunden, nachdem er gegen 21.15 Uhr einem auf seiner Fahrbahn entgegenkommenden Auto auf der L 1095 bei Möckmühl ausgewichen war.
Atemnot
Reflexartig zog er seinen Wagen nach rechts, prallte frontal gegen einen Baum. Rund eine Stunde war er bewusstlos. Als er wieder zu sich kam, lag er in dem Autowrack mit gesprungenen Scheiben in der Schlucht mit Brüchen am Bein, einer offenen Fraktur am Knie, gequetschter Lunge und Atemnot. Es war dunkel. Es war Nacht. Sein Handy: durch den Aufprall in viele Einzelteile zerlegt.
Von Rettern war in diesem abgeschotteten Winkel der Landschaft weit und breit keine Spur. Lustig schrie um Hilfe, trotz kaputter Lunge, hämmerte mit einer Taschenlampe aufs Autoblech. Es nützte nichts. "Ich habe immer nur an meine Freundin gedacht", sagt der 34-Jährige, der als Anlagenführer bei Audi arbeitet. Er wollte "nicht abtreten, bevor ich sie noch mal sehe".
Wasser geangelt
Mit einem Kabel des Navigationsgerätes bindet er den Oberschenkel ab, um die Blutung zu stillen. Alle halbe Stunde lockert er das Band, um keinen toxischen Schock zu bekommen. Lustig war Sanitäter bei der Bundeswehr. "Bloß nicht einschlafen", schärft er sich ein, rationiert seine Zigaretten, um jede halbe Stunde eine anzuzünden. Er bricht ein kleines Fach im Auto ab, baut mit diesem und einem Kabel eine Art Angel und schöpft aus dem kleinen Bach, in dem das Auto steht, immer wieder kleine Portionen Wasser ins Wageninnere. Trinken gegen den Blutverlust.
Ein Taschenmesser hat der Jäger und Angler immer dabei. Er schneidet den Stoffüberzug des Beifahrersitzes ab, den Beifahrerairbag ebenso, und deckt sich mit den Fetzen zu. "Bitterkalt" empfindet er die leichten Minusgrade. Am Wagenboden ist sein Blut teilweise gefroren.
Als am Morgen noch keine Hilfe da ist, entschließt sich Lustig zur Selbstrettung. Mit dem Lederriemen seines Fernglases und aus der Tür geschnittenem Dichtungsgummi bastelt er eine Art Verband, schnürt alles um das verletzte Bein und will es aus dem Auto hieven. Die Schmerzen sind so stark, dass ihm "schwarz vor Augen" wird. Er bleibt im Wagen und ruft um Hilfe, immer wieder. Gegen 14.30 Uhr kommt eine Reiterin an der Stelle vorbei und alarmiert die Rettungskräfte. "Jetzt habe ich es geschafft", denkt der 90-Kilo-Mann, der Kampfsport betreibt, als er die Notärztin vor sich sieht. Wie eine Zentnerlast fällt die Anspannung von ihm ab. Zwei Stunden später, schätzen die Ärzte, wäre er verblutet oder erfroren.
Hochzeitspläne
Mit Krücken kann sich Sascha Lustig heute in der Möckmühler Wohnung bewegen. Mit einer Kniebeugemaschine trainiert er täglich, Schmerzmittel braucht er "fast keine mehr". Freundin Tanja Weißmann und seinen Eltern ist er dankbar für ihre Hilfe, ebenso der Reiterin, Feuerwehr, Ärzten, dem Pflegepersonal. Bedachter, bewusster will er künftig leben. "Es ist eine zweite Chance, eine dritte gibt es nicht."
Der Extremunfall hat Sascha und Tanja zusammengeschweißt. Dreieinhalb Monate waren sie vorher zusammen. Jetzt denken sie ans Heiraten. "Für uns war das eine Prüfung", sagt die 32-Jährige. Das Schlimmste habe man hinter sich. Mit einem Antrag solle Sascha aber noch etwas warten. "Er kann ja noch nicht auf die Knie gehen", sagt sie und lacht.
Hintergrund: Mehrfachbrüche
Zwei Wochen lag der 34-Jährige auf der Intensivstation, danach zwei weitere Wochen im Krankenhaus. Vier gebrochene Rippen, eine gequetschte Lunge, ein fünffacher Bruch des Oberschenkels sowie eine zertrümmerte Kniescheibe mit einer offenen Fraktur mussten die Ärzte behandeln. Sascha Lustig hofft, vielleicht Ende März wieder normal laufen zu können. Als der Unfall passierte, war er angegurtet.