Die Zahlen sind eigentlich ein Grund zur Freude. Die Retter bei Notfalleinsätzen im Unterland könnten sich entspannt zurücklehnen. Im zweiten Jahr in Folge haben sie die Vorgaben eingehalten, in mindestens 95 Prozent aller Notfälle in spätestens 15 Minuten mit Rettungswagen und Notarztfahrzeug am Unfallort zu sein.
Doch was dies bei stetig steigenden Einsatzzahlen (siehe Grafik) für die Mitarbeiter bedeutet, beschreibt ASB-Rettungsdienstleiter Werner Eckert mit klaren Worten: Gerade in der Großstadt Heilbronn, wo der ASB zwei Rettungswachen rund um die Uhr betreibt, „sind die Rettungswagen dauernd unterwegs. Die Mitarbeiter sind an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit.“ Wenn die Einsatzzahlen weiter steigen, kippt das System, ist Eckert überzeugt.
10â600 Einsätze waren es beim ASB im Jahr 2012, davon rund 3000 sogenannte „Fehleinsätze“. So bezeichnet man Fälle, die sich hinterher doch nicht als Notfall erweisen, Fälle, in denen niemand ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. Gerade da sieht Eckert auch die Bürger gefragt, nicht sofort aus der Ferne in jedem Fall gleich per Handy den Rettungsdienst zu alarmieren. Er registriert viele Bagatellfälle, bei denen Betrunkene zum Beispiel irgendwo schlafen oder ein Hausstreit glimpflich endet. Wenn Bürger erst einmal kurz prüften, ob es ein Notfall sein kann, „würde es den ein oder anderen Einsatz sicher vermeiden“.
Sensibilisiert Eine Zunahme von solchen „Fehleinsätzen“ erlebt auch das Rote Kreuz. Rettungsdienstleiter Markus Stahl gewinnt dem Effekt auch positive Seiten ab, weil Bürger durch mehr Aufklärung über Symptome bei Herzinfarkt oder Schlaganfall sensibler reagierten - und Patienten frühzeitig geholfen wird. „Es kann einen dramatischen Verlauf nehmen, man weiß es aber vorher nicht.“
Einen Einfluss sieht Stahl auch in der neuen Struktur zusammengelegter Notfallpraxen. Der Rettungsdienst werde nun häufiger alarmiert, wenn der Arzt in seinem Gebiet unterwegs sei. Auch Stahl sieht die Zunahme der Einsätze mit kritischem Blick. An einzelnen Tagen seien die Rettungsassistenten und Rettungssanitäter des DRK an einer Grenze angelangt. Zumal die Arbeit physisch und psychisch belastend sei. Es werde in Zukunft „auf jeden Fall schwerer, die Hilfsfrist einzuhalten“, weil die Bevölkerung weiter altert. Bereits jetzt machen Fälle mit Schlaganfall oder Herzinfarkt zwei Drittel der Notfalleinsätze aus.
Durch eine verbesserte Technik in der Leitstelle soll dem Stress im Dauereinsatz etwas entgegengewirkt werden. Die Technik wird so umgestellt, dass der Disponent am Monitor zu jeder Zeit exakt sieht, wo ein Einsatzwagen ist. Und die Crew im Rettungswagen erhält via GPS den Unfallort direkt auf das Navigationsgerät aufgespielt.
Strukturfrage Ob das ausreicht? Die Zahl echter Notfalleinsätze ist seit 2007 um rund 3000 Fälle gestiegen. Außer einem zusätzlichen Notarztfahrzeug in Möckmühl hat sich am Personal- und Wagenbestand in der Zeit nichts verändert. Dass es sinnvoll wäre, über ein neues Gutachten die Struktur des Rettungssystems in der Region überprüfen zu lassen, regt Werner Eckert an. „Mehr als 100 Prozent geht nicht.“
Die Krankenkassen sind der Kostenträger des gesamten Systems: Die Crux ist: Solange die Hilfsfrist eingehalten wird, gibt es für sie keinen Grund, etwas zu verändern.