"Wenn wir geholt werden, hat das immer etwas mit dem Tod zu tun", sagt Walter Zaiss. Er leistet Menschen Beistand, die von einem schweren Unglück betroffen sind. Der evangelische Pfarrer aus Güglingen ist einer von derzeit 34 Notfallseelsorgern im Stadt- und Landkreis Heilbronn.
Seit ziemlich genau einem Jahr gibt es die ökumenische "Erste Hilfe für die Seele", die von der evangelischen und katholischen Kirche in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen wie Feuerwehr, Polizei und Sanitätsdiensten getragen wird. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer - Pfarrer, Gemeindereferenten, Diakone - werden von der Kreisleitstelle gerufen, wenn eine Todesnachricht überbracht werden muss. Oder wenn ein Suizid gemeldet wurde. Dann begleiten sie die Polizisten und Notärzte. "Die Beamten müssen meist gleich wieder weg. Wir bleiben noch ein, zwei Stunden", sagt Walter Zaiss.
Der 51-Jährige hat Angehörigen schon mehrfach Schreckensnachrichten überbringen müssen: dass der Ehemann in Mexiko einen tödlichen Unfall hatte; dass Tochter und Enkelkind aus einem brennenden Haus nicht mehr gerettet werden konnten; dass für den Sohn nach einem Motorradunfall jede Hilfe zu spät kam.
In solchen Momenten, nach dem ersten Schock, ist es ihm wichtig, die Angehörigen "Nähe spüren zu lassen". Da sein, beruhigen, mit überlegen, was der nächste Schritt sein könnte.
Den Menschen Zeit geben sich auszuweinen. Oder sich anschreien lassen.
Ein Kollege wurde mal geohrfeigt.
Manchmal begleitet Walter Zaiss die Angehörigen an den Unfallort. Manchmal fährt er mit ihnen zum Bestattungsunternehmen. Das Motto der Notfallseelsorge, "Erste Hilfe für die Seele", trifft die Aufgabenstellung da ziemlich gut. Später sind andere dran. "Wir übergeben dann an die Kollegen vor Ort."
Als Walter Zaiss vor einigen Jahren, noch vor seiner Zeit als Notfallseelsorger, zu einem schweren Unfall gerufen wurde, litt er darunter, nicht selbst mit anpacken zu können, "wie Falschgeld rumzustehen". Seit Herbst 2000 ist der Gemeindepfarrer nun aktiver Feuerwehrmann in Güglingen.
Er hat die Grundausbildung absolviert, trägt stets den Piepser am Gürtel. Bei Einsätzen rückt er mit aus.
Zaiss weiß: Den Rettern zu helfen, also Feuerwehrleuten oder Sanitätern, die Schlimmes gesehen haben, ist eine ebenso wichtige Aufgabe der Notfallseelsorger. Die nicht immer leicht fällt. Als im Februar letzten Jahres bei Nordhausen drei 17 und 18 Jahre alte Mädchen tödlich verunglückten, waren auch Güglinger Wehrleute vor Ort. Später konfrontierten sie Zaiss mit ihrem ganzen Frust, ihrer Verzweiflung: "Wo ist denn hier Gott?" In solchen Situationen fällt dem Pfarrer die Antwort schwer. "Da muss man auch Fragen offen lassen. Es gibt keine billigen Vertröstungen."
In einer Art Eigenschulung, in Veranstaltungen mit auf diesem Gebiet erfahrenen Kollegen, mit Psychiatern, Notärzten oder Menschen, die in der Telefonseelsorge oder in der Betreuung Suizidgefährdeter arbeiten, haben sich die angehenden Notfallseelsorger auf ihre Aufgabe vorbereitet. Noch heute treffen sie sich jeden zweiten Dienstag im Monat zur Fortbildung, um über Einsätze zu berichten, Erfahrungen zu besprechen. "Da ist eine große Offenheit untereinander", hat Walter Zaiss festgestellt. Welcher Konfession die Seelsorger angehören, spielt dabei überhaupt keine Rolle.
Einen Unterschied gibt es aber doch: Auf katholischer Seite gehört die Notfallseelsorge zum offiziellen Dienstauftrag des Pfarrers, auf evangelischer nicht. In den Unterländer Dekanaten wird die Arbeit jedoch zumindest von den Dekanen in Neuenstadt und Brackenheim stark unterstützt.
Alle Notfallseelsorger sind ehrenamtlich im Einsatz. Für Zaiss gehört es zum Selbstverständnis eines Pfarrers, "einen schweren Weg ein Stück mitzugehen". Sein Eindruck ist, dass die meisten Betroffenen froh sind über seinen Dienst.
Weggeschickt wurde er noch nie.