Die Feuerwehren in der Region haben im vergangenen Jahr Tausende Einsätze bewältigt. Reinhold Gall, Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbands, will Schaulustigen bei Unfällen oder Bränden Einhalt gebieten. Aber wie ist das zu schaffen?
Sensationslustige Gaffer stören die Feuerwehren bei der Arbeit und verletzen die Würde von Opfern. Der Vorsitzende des Kreisfeuerwehrverbands Heilbronn, Reinhold Gall, kritisiert im Stimme-Interview gravierende Fehlentwicklungen. Die Wehren seien zwar mit Sichtschutzwänden ausgestattet, doch diese binden viel Personal.
Herr Gall, wie oft müssen Sie ausrücken?
Reinhold Gall: Immer dann, wenn ich in Obersulm bin. Im Jahr kommt das zwischen zehn und 15 Mal vor. Das zeigt natürlich, dass ich oft weg bin, die Zahl der Einsätze ist deutlich höher.
Welche Aufgaben haben Sie dann?
Gall: Ich bin Zugführer, und wenn diese Funktion gebraucht wird, übernehme ich diese Aufgabe auch. Ich bin zudem Teil der Führungsgruppen auf Gemeinde- und Kreisebene. Aber es gilt natürlich immer: Ich mache das, was der Kommandant sag
Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum zeigt, dass Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdiensten in Nordrhein-Westfalen immer wieder Opfer von Gewalt werden. Sehen Sie diese Tendenz auch in der Region?
Gall: Nein, so etwas stellen wir nicht fest. Allerdings werden wir in unserer Arbeit immer wieder behindert - was sehr ärgerlich ist. Mir liegen aber keinerlei Informationen vor, dass Aktive Opfer von Gewalt geworden sind. In aufgeregten Situationen kann es höchstens mal vorkommen, dass Anweisungen der Feuerwehr nicht sofort Folge geleistet wird. Aber uns ist klar, dass die Menschen bei Bränden oder Unfällen selbst in Ausnahmesituationen sind. Viele Bürger wissen ja gar nicht, welch tiefgreifende Befugnisse wir haben: Feuerwehren dürfen in Grundrechte eingreifen.
Sie haben von Behinderungen gesprochen. Dazu zählen auch Gaffer. Wie oft kommen die neuen Sichtschutzwände der Feuerwehren zum Einsatz?
Gall: Das passiert immer öfter. Wobei wir uns schon die Frage stellen sollten, ob wir als Feuerwehren das selbst machen müssen. Das bindet Kräfte, die uns für andere Aufgaben fehlen. Mich kotzen Gaffer an. Dafür habe ich keinerlei Verständnis. Ich habe selbst beobachtet, wie ein Erwachsener ein Kind hochgehoben hat, damit es über den Sichtschutz hinweg eine Wasserleiche sehen konnte. Aber klar: Wer sonst könnte die Sichtschutzwände aufbauen? Auf Autobahnen machen es die Autobahnmeistereien.
Was wäre dann die Lösung?
Gall: Viel härtere Strafen. Gaffern kommt man offensichtlich nur dann bei, wenn es richtig Geld kostet. Allerdings bindet das dann wiederum Kräfte bei der Polizei. Ich weiß allerdings keinen anderen Weg.
Verstärken die Sozialen Medien das Problem? Das Bedürfnis, für spektakuläre Fotos Anerkennung im Netz zu bekommen?
Gall: Klar. Die Fotos werden veröffentlicht und teilweise auch noch mit blöden Kommentaren versehen. Ich bin schon lange der Meinung, dass neue Medien dramatische Konsequenzen für unsere Wertmaßstäbe haben. Menschenwürde zählt nicht mehr. Bei unserer eigenen Arbeit lege ich sehr viel Wert darauf, dass unsere Leute die Würde von Opfern achten. Sie sollen sich bewusst sein, dass ein Mensch gestorben ist. Das muss auch einem Feuerwehrmann oder einer Feuerwehrfrau weh tun.
Das ist natürlich eine Gratwanderung. Einerseits sollen die Aktiven Empathie zeigen, andererseits müssen sie sich selbst schützen. Was geschieht in den Wehren, um psychisch getroffene Kollegen aufzufangen?
Gall: Wir müssen junge Feuerwehrleute ganz langsam an solche Einsätze heranführen. Wenn so etwas wächst, kann man mit solchen Eindrücken besser umgehen. Was wirklich wichtig ist: Man muss nach den Einsätzen über das Erlebte sprechen. Wenn wir feststellen, dass es den Leuten nahegeht, müssen wir ihnen Angebote machen. Ganz wichtig ist ja auch, eventuelle Schuldgefühle gleich im Keim zu ersticken. Wir können im Bedarfsfall auch auf externe Unterstützung zurückgreifen, wobei wir im normalen Alltag da doch häufig auf uns allein gestellt sind. Für uns Nicht-Psychologen zuweilen eine schwierige Aufgabe, zumal es keine einschlägigen Lehrgänge gibt. Vor diesem Hintergrund kommt einer kompetenten Führungsriege enorme Bedeutung zu.
Sie brauchen eine Atmosphäre, in der sich der Einzelne nicht scheut, Schwäche zu zeigen. Ist das in einer derart männerdominierten Gruppe nicht schwierig?
Gall: Ja, das ist es. Jeder muss wissen, dass er nicht immer stark sein muss. Das Thema Menschenführung wird für unsere Führungskräfte immer wichtiger. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich da auch schon viel getan. Auch was die Fehlerkultur angeht: Jeder darf Fehler machen, auch eine Führungskraft. Entscheidend ist, dass man daraus lernt.
Derzeit gibt es rund 4200 Aktive in Stadt- und Landkreis Heilbronn. Sind Sie mit dem Personalstand zufrieden?
Gall: Mit der absoluten Zahl bin ich zufrieden. Das darf aber den Blick nicht darauf verstellen, dass die Zahl allein noch nicht viel über die Leistungsfähigkeit aussagt. Diese 4200 Kräfte stehen nicht rund um die Uhr zur Verfügung, da sie ja nicht immer von der Arbeit abkömmlich sind, auch Feuerwehrangehörige in Urlaub sind oder aus anderen Gründen nicht zur Verfügung stehen. Da müssen wir und schon anstrengen, alle Fahrzeuge besetzen zu können. Wir dürfen also keinesfalls Personal verlieren.
Gibt es denn Feuerwehren, bei denen die Tagesverfügbarkeit besonders problematisch ist?
Gall: Mit Klimmzügen schaffen wir es. Auch deshalb, weil benachbarte Wehren mitalarmiert werden. Das heißt natürlich auch, dass wir den Einzelnen noch stärker belasten, weil er öfter ausrücken muss. Entlastung bringen auch die Doppelmitgliedschaften. Die Aktiven können dann am Wohn- und am Arbeitsort eingesetzt werden.
Nur knapp sieben Prozent der Aktiven sind weiblich. Der Anteil steigt, aber langsam. Warum gelingt es nicht, den Frauenanteil schneller zu erhöhen?
Gall: Wenn ich das wüsste, würde ich es ändern. Mir ist auch der Anteil der Migranten deutlich zu gering. Wir müssen in diesen Bereichen zulegen, das ist gar keine Frage. Ein erster Schritt wäre es, wenn wir den Anteil von Frauen in den Berufsfeuerwehren steigern könnten. Das wäre doch das richtige Signal in die Fläche.
Um möglichst sicher und effektiv helfen zu können, brauchen die Wehren eine gute Ausrüstung. Wie sieht es in der Region aus?
Gall: Auch wenn es Unterschiede gibt: Wir sind gut ausgerüstet. Starke Verbesserungen gab es in den vergangenen Jahren auch bei der persönlichen Schutzausrüstung. Die Kommunen werden ihrer Verantwortung in diesem Punkt gerecht.
Die technische Hilfeleistung bei schweren Lkw-Unfällen auf der Autobahn wird immer anspruchsvoller. Ist das überhaupt noch zu leisten?
Gall: Wer soll es denn sonst machen? Wer in die Feuerwehr geht, weiß, was auf ihn zukommt. Aber ja, wir erleben derzeit einen rasanten Wandel, die Herausforderungen wachsen. denken Sie nur an E-Autos. Hochspannung in den Fahrzeugen, aber wo genau? Das ist bei jedem Typ anders. Schulungen gibt es, aber nur auf Eigeninitiative.
Haben Sie denn den Eindruck, dass die Arbeit der Freiwilligen Feuerwehr ausreichend anerkannt wird?
Gall: Umfragen geben es her. Ein Zeichen der Wertschätzung sind zum Beispiel kostenlose Aufenthalte im Feuerwehrhotel am Titisee, die im Regelfall die Kommunen bezahlen. Derzeit werden in den Städten und Gemeinden die Entschädigungssatzungen angepasst. Unser Vorschlag sieht eine Bandbreite vor. Das heißt aber nicht, dass sich die Kommunen an der Untergrenze orientieren sollen. Das machen einige. Ein Kommandant muss sich im Grunde jeden Tag mit seiner Feuerwehr beschäftigen. Da sind mir 120 Euro im Monat zu wenig.