Exzessiver Drogenkonsum, Abdriften in Phantasiewelten, nächtelang am PC Spiele spielen, Schulprobleme, Abkapseln von den Eltern: Was ein 20-Jähriger am Freitag vor dem Landgericht über sein Leben erzählt, klingt ganz so wie das typische Tagebuch eines Jugendlichen, der an seiner Wirklichkeit zerschellt. Seine Mutter nennt die Lebenshaltung ihres Sohnes „Grundverzweiflung“. Er selbst drückt das so aus: „Mir war alles scheißegal, an die Zukunft habe ich nicht gedacht.“ Ein fast stereotyper Fall von missglückter Pubertät? Nicht ganz. Denn warum dieser Heranwachsende fast zum Mörder wurde, warum er einen Brand legte, bei dem fast eine 92-Jährige in dem Haus umgekommen wäre, das gibt den Richtern trotz des Geständnisses Rätsel auf.
Treffpunkt In der Orientierungslosigkeit findet der Jugendliche in der Boutique in der Heilbronner Rathausgasse „eine Heimat“, wie er sagt. Der Laden dient vielen Gleichgesinnten als Treffpunkt. „Ich habe die Boutique geliebt.“ Er fängt hier an zu arbeiten, lernt Kollegen kennen, die er gut findet – vor allem einen, den er sein „kleines Vorbild“ nennt. Heute weiß er: „Er hat mich manipuliert“. Doch das ahnt er anfangs nur, jedenfalls übt dieser Eine eine „Anziehungskraft“ auf ihn aus.
Dieser eine Kollege hatte wohl Stress mit der Boutiquenbesitzerin, wurde entlassen, hatte aber noch ein altes Paar Schuhe von sich in dem Laden stehen, so berichtete es der 20-Jährige vor Gericht. Der Entlassene soll ziemlich aufdringlich geworden sein, um an dieses Paar Schuhe zu kommen. Darum hat er den 20-Jährigen, wie der am Freitag im Gerichtssaal berichtete, eines Abends im Oktober 2013 angerufen um ihn zu bitten, ihm das Geschäft aufzuschließen. Weil der Angeklagte noch in der Boutique beschäftigt war, hatte er einen Schlüssel – und kam der Bitte nach.
Was dann geschah, nennt der Angeklagte „irrational“. Er habe an jenem Abend mindestens vier Joints geraucht, als er seinem Ex-Kollegen die Tür zur Boutique aufschloss. Dieser fand die Schuhe nicht, ließ dafür aber andere Ware mitgehen. „Ich wollte den Kumpel nicht verpfeifen, hatte aber auch ein schlechtes Gewissen gegenüber der Boutiquenbesitzerin“, erinnerte sich der 20-Jährige. Deswegen sei er auf die „saublöde Idee“ gekommen, das Feuer zu legen. Die 92-Jährige Frau im Obergeschoss war ihm wohl bekannt. „Ich hatte ein ziemlich nettes Verhältnis zu ihr.“ Doch als er das Feuer legte, „habe ich nicht an sie gedacht. Ich kann mir das nur durch meinen Drogenrausch erklären.“
Absurd „Warum waren die Schuhe so wichtig, war da das drin?“, fragte die Vorsitzende Richterin Eva Bezold. Die Antwort war ein Achselzucken und der Kommentar: „Das war total absurd.“ Hinterher stellte sich heraus, dass die Schuhe längst aus dem Laden zum Verkauf im Diakonieladen für Gebrauchtes gelandet war. Ihr Wert: 20 Euro.
Bild: Nur weil Passanten zufällig in der Nähe waren, wurde der Brand der Boutique Pogo in Heilbronn rechtzeitig entdeckt, um eine 92-Jährige aus dem Haus zu retten. Die Brandstiftung ist jetzt vor dem Gericht als versuchter Mord angeklagt. (Foto: Archiv/Petersen)