Eigentlich ist es die Feuerwehr im Regelfall gewohnt, mit ihren Einsatzfahrzeugen so nah wie möglich an die jeweiligen Schadenstellen heranzufahren, damit dann von der Mannschaft die benötigten Gerätschaften ? entsprechend der vorgefundenen Lage ? aus den Feuerwehrfahrzeugen entnommen werden können. Wie gesagt, im Regelfall. Doch was passiert, wenn es gilt zwischen dem Aufstellungsort der Fahrzeuge und der eigentlichen Einsatzstelle eine größere Distanz zu überwinden, z.B. weil das Gelände unwegsam oder die Zufahrt versperrt ist? Dann ist nicht nur das Improvisationstalent des Einsatzleiters sowie der übrigen Führungskräfte angesagt, sondern dann ist die Aufmerksamkeit eines jeden Feuerwehrangehörigen gefordert. Denn bei einer hinreichenden Entfernung muss ? entsprechend dem Erkundungsergebnis ? genau abgewogen werden, welches Gerät und Material vom Fahrzeug mit ?nach vorne? genommen wird, um bei evtl. Rettungsmaßnahmen keine unnötigen Zeitverzögerungen in Kauf nehmen zu müssen. Um so wichtiger ist es daher, eine solche Lage zu üben, um die Feuerwehrangehörigen auf alle Eventualitäten des Einsatzgeschehens bestmöglich vorzubereiten.
Dieser Auffassung war auch Stadtbrandmeister Kurt Semen, als er Volker Windbiel mit der Ausarbeitung eines umfangreichen Übungsszenarios auf dem Werksgelände der SWS in Bad Friedrichshall-Kochendorf beauftragte.
Bei der durchgeführten Übung, an welcher neben der Freiwilligen Feuerwehr Bad Friedrichshall auch ihre Kollegen aus Oedheim teilgenommen hatten, erfolgte die Alarmierung unter dem Stichwort ?Betriebsunfall bei der Firma SWS in Bad Friedrichshall-Kochendorf?.
Dabei wurde angenommen, dass die Rangierlok der SWS nach eines Kreislaufkollaps des Lokführers unkontrolliert in eine Gruppe Montagearbeiter gefahren war, welche an einem Rolltor der Entladehalle Reparaturarbeiten durchführte. In dessen Folge wurden zwei Arbeiter von einer Bockleiter gestoßen. Diese stürzten in einen geöffneten Schacht, welcher als Montageöffnung sowie zur Altmetallentsorgung dient, und blieben dort schwerverletzt liegen. Ein weiterer Kollege lag verletzt auf einem Gitterrost der Entladehalle. Zu allem Unglück fuhr die Lok weiter und stieß mit einem Pkw zusammen, der gerade die Gleise überquerte. Die Zwei Fahrzeuginsassen wurden dabei ebenfalls schwer verletzt und in ihrem Wagen eingeklemmt.
Beim Eintreffen erkennt der Einsatzleiter, dass ein Zugang zum Werksgelände über die reguläre Zufahrt nicht möglich ist, da diese wegen Bauarbeiten nicht passiert werden kann. Schnell entschließt er sich, die Fahrzeuge in der Reihenfolge ihres Eintreffens beim Besucherparkplatz aufstellen zu lassen und dort die Einsatzleitung einzurichten. Dann begibt er sich zur Erkundung an die über 250 Meter entfernt liegende Unfallstelle.
Um die benötigten Gerätschaften für den Einsatz vor Ort bringen zu können entschließt er sich die zwei schienenfahrbaren Rollpaletten des Bahnrettungssatzes zum Einsatz zu bringen, um darauf das Rettungsgerät und die Rettungsmittel von den Fahrzeugen zu der Schadensstelle transportieren zu können. Er veranlasst über die Betriebsleitung umgehend die Öffnung des Rolltores der Gleisanlage, um darauf die Rollpaletten zum Einsatz zu bringen.
An einer der Einsatzstellen finden die Feuerwehrangehörigen einen total deformierten Pkw vor, der von der Lok beim Zusammenprall übel zugerichtet wurde. Auf der Lok entdecken sie den bewusstlosen Lokführer, der sofort erstversorgt wird.
Außerdem läuft an der Lok ? simuliert durch Wasser ? Kraftstoff aus, sodass die Leckage bekämpft und die umliegenden Kanaleinläufe mit Dichtkissen gesichert werden müssen.
Unter Zuhilfenahme von hydraulischem Rettungsgerät sowie unter ständiger persönlicher sowie notärztlicher Betreuung werden die eingeklemmten Fahrzeuginsassen behutsam gerettet. Gerade wurde das Dach abgetrennt und der Zugang zu den Patienten ist frei, da stellt der anwesende Notarzt beim Beifahrer einen Kreislaufstillstand fest. Jetzt muss alles schnell gehen. Damit sofort mit den Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen werden kann, ist die Person sofort aus dem Wrack zu retten. Die Fahrerin wird anschließend mit einer Schaufeltrage aus dem Pkw befreit und ebenfalls notfallmedizinisch erstversorgt. Der Rettungseinsatz am Pkw ist abgeschlossen.
Bei einem der verletzten Arbeiter, welcher in die Montagegrube gefallen war, hatte sich beim Sturz ein Metallrohr in dessen rechten Oberschenkel gebohrt, sein Kollege hatte sich schwere Kopfverletzungen zugezogen. Zur Herstellung der Transportfähigkeit wurde das Metallrohr zunächst in der Wunde belassen, die überstehenden Teile jedoch mittels hydraulischer Rettungsschere abgetrennt. Unter Verwendung einer Korbtrage wurden beide in der Montagegrube liegenden Arbeiter aus der Tiefe gerettet und dem Rettungsdienst zur weiteren Versorgung übergeben.
Insgesamt wurden sechs ?verletzte? Personen aus ihren lebensbedrohlichen Zwangslagen befreit. Nach knapp zwei Stunden war der umfangreiche Hilfeleistungseinsatz abgeschlossen und Einsatzleiter Volker Windbiel stellte offiziell das Übungsende fest.
An der Übung waren sieben Fahrzeuge und 25 Feuerwehrangehörige beteiligt. Der DRK-Ortsverein Bad Friedrichshall hatte die Verletztendarsteller zur Verfügung gestellt und realistisch geschminkt.
„Die Logistik beeinflusst alle Schlachten ? sie entscheidet viele.“ Getreu dem Ausspruch von General Dwight D. Eisenhower umriss Einsatzleiter Volker Windbiel bei der Einsatznachbesprechung die Wichtigkeit eines geordneten sowie koordinierten Materialtransports von den Fahrzeugen zur Einsatzstelle. ?Insbesondere wenn ? wie in diesem Fall ? größere Entfernungen zu überwinden sind?, so Windbiel. Dabei sei gerade ?hinten? sehr genau zu überlegen, welche Geräte für die Einsatzabwicklung ?vorne? gebraucht würden um den Einsatzerfolg und die Durchführung schneller Hilfe nicht zu gefährden, unterstrich der Einsatzleiter.
Stadtbrandmeister Kurt Semen zeigte sich mit dem Übungsverlauf zufrieden. ?Es konnten alle Verletzten auf möglichst patientenschonende und dennoch schnellstmögliche Weise gerettet und an den Rettungsdienst übergeben werden?, stellte Semen fest. Auch für ihn steht außer Frage, dass neben einer funktionierenden Logistik „ein geordneter Raum“ an der Einsatzstelle unabdingbar ist. ?Wenn nur ein wichtiges Teil fehlt, bedeutet das, dass man wieder zum Fahrzeug zurück und es holen muss.? so Semen. Dadurch könne es zu einer unnötigen Verzögerung in der Einsatzabwicklung kommen, die bei entsprechender Vorausplanung vermeidbar wäre, gab der Stadtbrandmeister zu bedenken. Abschließend dankte Kurt Semen allen Übungsteilnehmern, insbesondere bei den Angehörigen des DRK-Ortsvereines Bad Friedrichshall, für deren Bereitschaft, einen Samstagnachmittag zur Übung und Fortbildung zu opfern, um für den ehrenamtlichen Dienst zum Wohle sowie zum Schutz der Allgemeinheit jederzeit ?fit? und gerüstet zu sein.
Fotos: Andreas Rudlof
Bild 1:
Der Einsatz von hydraulischem Rettungsgerät ist notwendig, um die eingeklemmten Insassen aus ihrer lebensbedrohlichen Zwangslage befreien zu können.
Bild 2:
Mit dem Spreizer wird die Tür entfernt, dann ist der Zugang zur Fahrerin frei.
Bild 3:
Unter Verwendung der Schaufeltrage wird die schwerverletzte Fahrerin aus dem Pkw gerettet.
Bild 4:
Einer der Arbeiter wurde aus der Montagegrube mittels Korbtrage gerettet.
Bild 5:
Der zweite Montagearbeiter wird mit der Korbtrage aus der Grube gerettet.