Die Brandmeldeanlage im Obersulmer Friedrichshof pfeift. 54 behinderte Menschen und zwei Dutzend Betreuer sind am Dienstagabend im betroffenen Gebäude der Evangelischen Stiftung Lichtenstern. Einen echten Brand gibt es nicht. Doch angespannt sind bei der Hauptübung der Freiwilligen Feuerwehr Obersulm alle Beteiligten.
Die konstruierte Ausgangssituation: Im Keller brennt es, Rauch zieht durch das Gebäude. Das Erdgeschoss gilt es zu räumen, im Obergeschoss die Bewohner aus dem Gefahrenbereich auf der Ebene zu verschieben. Eingeschlossene Personen im Dachgeschoss müssen die Retter über eine Drehleiter in Sicherheit bringen. Eine Nebelmaschine sorgt für reale Bedingungen.
Probleme „Nicht das Feuerwehrtechnische ist das Problem, sondern mit den Ängsten der Behinderten umzugehen“, sagt Feuerwehrkommandant Michael Schepperle. Zwar wurde diesen Menschen gesagt, dass eine Übung ansteht, Wohnbereichsleiter Klaus Finkbeiner ist sich aber sicher: „Der Teil, der das verstanden hat, lässt sich an einer Hand abzählen.“
Das Hupen der Meldeanlage bringt die Bewohner durcheinander, viele reagieren mit Angst, sagt Finkbeiner. „Sie sind beeindruckt, aber auf eine Art und Weise, mit der sie nicht umgehen können.“ Gerade deshalb sei die Übung so unglaublich wichtig.
Mit dem Ertönen der Brandmeldeanlage öffnen sich automatisch auch zwei Türen im Haus, die sonst verschlossen sind ? es besteht Fluchtgefahr. Doch alles klappt. Niemand geht während der Übung verloren. Schon bevor die 60 Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr anrücken, ist der Großteil des Erdgeschosses geräumt. Die Mitarbeiter der Einrichtung Lichtenstern, die als Betriebsfeuerwehr fungieren, leisten ganze Arbeit. Sie wissen, wie sie mit Menschen mit Behinderung umzugehen haben.
Trotzdem kontrolliert die Feuerwehr Obersulm bei ihrem Eintreffen noch einmal jedes Zimmer. „Guckt auch in den Schrank“, sagt einer. Doch die Betriebsfeuerwehr hat gründlich gearbeitet. Die Verschiebung der Bewohner im Obergeschoss verläuft reibungslos. Die Drehleiter-Rettung aus dem Dachgeschoss gelingt ebenfalls. Betreuerinnen steigen zusammen mit den Behinderten in den Rettungskorb. Sie streicheln den Bewohnern den Rücken und beruhigen sie. Auch die Feuerwehrmänner sind bemüht, die Bewohner nicht zu erschrecken. Ihre Atemschutzgeräte sind ausgeschaltet ? die zischenden Geräusche sollen niemanden verstören.
Erleichtert Als alle Bewohner nach der Übung wieder auf ihren Zimmern sind, ist Heilpädagogin und Gruppenleiterin Rita Rönisch erleichtert. Seit 36 Jahren ist sie bei der Stiftung Lichtenstern beschäftigt und mächtig stolz auf ihre Schützlinge: „Sie haben sich wirklich wacker geschlagen.“ Und auch für die Angestellten sei es wichtig gewesen, eine solche Situation für den Ernstfall zu erproben. Fast ausschließlich Autisten betreut Rönisch. Zwei davon können schreiben. „Es kann gut sein, dass sie mir etwas über die Übung schreiben. Sie wirkten wirklich sehr interessiert.“
Bild 1: Gruppenbetreuerin Rita Rönisch (rechts) und ihre Kolleginnen beruhigten die Bewohner in der Einrichtung, wenn sie erschreckt reagierten.
Bild 2: Zurück ins Haus: Nach dem Einsatz kamen viele Bewohner interessiert auf die Feuerwehrleute zu und nahmen Kontakt auf.
Bild 3: Versuch geglückt: Auch die Rettung mit der Drehleiter klappte problemlos. (Fotos: Guido Sawatzki)