Exakt 88 graue Masten mit pilzartigem Kopf und ein komplexes elektronisches Innenleben stehen für den Notfall bereit. Sie sind es, die am Dienstag um 10 Uhr zwölf Sekunden lang einen Dauerton durch die Stadt jagen.
Die Feuerwehr prüft den Ernstfall und testet, ob alle 88 Sirenen im Stadtgebiet noch funktionsfähig sind. Bei einem echten Großalarm sollen alle Bürger durch einen einminütigen Heulton rechtzeitig gewarnt werden können.
Ein flächendeckendes System hat die Heilbronner Feuerwehr aufgebaut, seit sie im Jahr 1993 das Sirenensystem vom Bund übernahm. 48 Sirenen waren damals intakt, 20 hatten Reparaturbedarf, 20 neue setzten die Floriansjünger auf weitere Dächer, um Beschallungslücken zu schließen. Die Stadt sei inzwischen „zu 98 Prozent abgedeckt, mehr kann man nicht machen“, sagt Feuerwehrkommandant Eberhard Jochim. Im Vergleich zu anderen Städten stehe Heilbronn damit an der Spitze. „Am Anfang“, sagt Jochim, „haben uns einige belächelt. Jetzt ziehen viele Kommunen nach.“
Es sind nur zwei Knopfdrucke nötig, um an der Computeranlage der Einsatzleitstelle oder aber im Systemschrank ein paar Schritte weiter den Alarmbefehl auszulösen. Ein Testlauf wie heute ist jedes Jahr einmal nötig, um defekte Alarmmelder aufzuspüren. In der ganzen Stadt hat die Feuerwehr „Sirenenpaten“ angeschrieben, die um zehn Uhr ganz genau hinhören, ob alles funktioniert. Die meisten Sirenen stehen auf öffentlichen Gebäuden - da ist es kein Problem, Hörwillige zu finden.
Jedes Jahr seien ein, zwei Sirenen defekt, berichtet Uwe Pfeiffer, der Leiter der Abteilung Katastrophenschutz bei der Feuerwehr. Ein Mal habe eine Schnecke durch abgesonderten Schleim die Elektrik außer Gefecht gesetzt. „Der Kasten ist jetzt schneckensicher“, sagt Pfeiffer - durch Silikon. Ist die Technik kaputt, sorgt eine Spezialfirma für die Wiederkehr der Phongewalt.
Heute läuft nur der Probealarm. Im Ernstfall, wenn der einminütige Heulton anschlagen sollte, ist etwas Schlimmes passiert. Ein Unfall im Kernkraftwerk zum Beispiel oder ein brennender Tankzug, bei dem gefährliche Chemikalien austreten, wie Eberhard Jochim erläutert.
Fenster zu, Radio an
Der Heulton soll die Menschen auffordern, in die Häuser zu gehen, Fenster und Türen zu schließen und das Radio (SWR, Radio Ton) einzuschalten. Ob das alle wissen? Bei einem Probealarm „rufen einige wenige an und fragen, was los ist“, berichtet Pfeiffer. Der Großteil der Menschen aber weiß nach Aussage von Jochim bei einem Alarm schon, „dass irgendwas nicht normal ist und man sich informieren muss“. Auf ein Alarmsignal hat die Heilbronner Feuerwehr das alte System reduziert. Mehr Töne würden nur verwirren, ist der Kommandant überzeugt.
Weckeffekt
Seit 1979 ist Jochim bei der Heilbronner Feuerwehr. Der 50-Jährige hat noch keinen Großalarm erlebt. Es sei wichtig, dass man ein solches eigenständiges Warnsystem habe, sagt er. Dennoch hofft er, dass er den realen Alarmfall nicht erleben muss. Denn wenn man das System brauche, „haben wir eine Extremlage, von der viele Menschen betroffen sind“.
Im Ernstfall soll der Heulton auch nachts effektiv warnen. Auf einen „Weckeffekt“ bei geschlossenen Fenstern im Umkreis von rund 350 Metern von der Sirene verweist Uwe Pfeifer. Falls der Wind nicht für irgendeine Richtung ungünstig steht.
Bilder: Der rote Alarmknopf: Im Ernstfall lässt er 88 Sirenen in der Stadt losheulen.